Samstag, 18. September 2010

Abschied


Als ich in der vergangenen Nacht um 4 Uhr in mein Zimmer stolperte, müde, abgekämpft, betrunken, fröhlich und traurig zugleich, hielt ich nach wenigen Schritten mitten im Raum an und dachte: Jetzt ist es also vorbei.

Ein merkwürdiges Gefühl ist das, eins, dass sich eigentlich nicht wirklich beschreiben lässt. Ich habe den Abschied nicht nur kommen sehen, ich habe ihn gewollt, mir eigentlich schon herbeigesehnt, bevor ich überhaupt angefangen habe mit diesem Job. Aber da war es nur eine diffuse Idee, die irgendwie vernünftig klang. TA für immer - was soll das?

Dann wurde der Wunsch, dass es endlichendlichendlich vorbei ist, immer drängender, dringender, weil mich so vieles dort langsam und doch unaufhaltsam kaputter gemacht hat. Die Entscheidung stand also schon allein deshalb fest und war nicht nur ein fernes Ziel. Also hab ich alles vorbereitet, habe sogar eine neue Aufgabe, eine neue Stadt, eine Herausforderung - und trotz all dem weine ich seit gestern Abend häufiger, als ich nicht weine.

Denn Abschied ist ebenso merkwürdig wie dieses Gefühl, dass er auslöst: Er wird schlimmer, je schöner er wird. Das liegt nicht nur an dieser fantastischen Party, die unsere Kollegen für Malte und mich organisiert haben - obwohl sie schöner nicht hätte sein können. Es liegt vor allem daran, dass für all diese Kollegen ganz selbstverständlich war, das zu tun - (mit) uns zu feiern, uns zu beschenken, mit uns traurig und zugleich fröhlich zu sein und uns zu vermissen, während wir noch da sind. Bei allen Flüchen und wüsten Beschimpfungen des letzten Jahres, aller Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung: Diese Kollegen meine Kollegen nennen zu dürfen war es wert, den ganzen anderen Dreck über sich ergehen zu lassen. DANKE!

Warum bin ich also weiter traurig, warum ist dieser Abschied so scheiß-schwer? Weil es so viele Menschen hier gibt, die ich nicht missen möchte und doch muss. Warum bin ich dabei trotzdem ganz entsetzlich glücklich, während mir Tränen die Wangen hinunter laufen? Weil es wunderschön ist zu wissen, dass es möglich ist, mit Menschen, mit denen man doch eigentlich "nur" arbeitet, eine solche Bindung aufzubauen. Eine, die auch vollbesoffene Liebesschwüre, peinliche Tanzeinlagen, wirre Monologe und plötzlichen Aufmerksamkeitsschwund aufgrund emotionaler Überforderung verzeiht.

Danke für diesen schönen, schweren Abschied, Freunde!

Mittwoch, 18. August 2010

Vorzimmer-Drachen

Wahrscheinlich kann ich bei diesem Thema erst mitreden, wenn ich selbst 20 Jahre in einem Job verbracht habe, den ich hasse, mit Menschen, die mich nerven und einem Gehalt, dass nicht annähernd als Schmerzensgeld funktioniert. Trotzdem, aus der Opferperspektive kann ich es ja jetzt schon mal probieren - als Opfer des vermutlich bis zur absoluten Frustration frustrierten Drachens, den sich mein Arzt in seinem Vorzimmer hält.

Diese merkwürdige Verbindung ist, nebenbei bemerkt, die einzige erkennbare Schwäche meines Arztes, und vermutlich kommt sie nur zustande, weil er ja arbeitet, während sie pampig zischend die Arbeit verweigert - und weil sich kaum jemand traut, ihm von den Zuständen in seiner Praxis zu erzählen. Ich übrigens auch nicht. Der Mann ist so nett. Das würde er sicher nicht durchstehen.

Ist aber auch verdammt schwer, das Durchstehen. Oder Durchsitzen, je nachdem, wieviel Glück man hat. Glück ist in diesem Fall schon, wenn man überhaupt während der Sprechstunde rein darf und nicht vor verschlossener Türe steht. Denn der Drachen schließt gerne mal ab, wenn er genug hat. Auch schon um 10 Uhr. Wer rein darf, stößt die Tür zwangsläufig gegen den letzten in einer etwa fünf Meter langen Schlange, die sich vor dem Pult am Eingang windet. Hinter dem Pult: 1,65 Meter Mensch, so in sich zusammengesackt, dass die blaßweiße Haut unter den Sommersproßen noch mehr Falten wirft, als es für die gefühlten 50 Jahre dauer-angepissten Daseins auf dieser Erde zu erwarten wäre. Randlose Brille vor trübgrauen Augen, aus denen Blitze schießen, wann immer jemand außer dem Drachen höchstpersönlich etwas sagt. Das klingt dann tatsächlich, als würde man den Grill löschen mit fünf Litern Wasser, Thüringer Waldquell, um genau zu sein. In diesen Fällen spontaner Eruption schwingt dann auch das fusselige blonde Haar erbost mit in Richtung des unverschämten Patienten, um anschließend schön kopfnah wieder unmotiviert abzuhängen.

Merkt man eigentlich, dass ich diese Frau optisch schon zum Reinschlagen finde? Ne, oder?

Aber sie verdient sich meine Aggressionen auch auf jedem anderen Weg, und immerhin das tut sie fleißig. Bei meinem ersten Besuch ließ sich mich eine Stunde im Wartezimmer hocken, um mir dann zu sagen: "Wir nehmen keine neuen Patienten auf, schönen Tag noch!" Nur eine herannahende Ohnmacht hielt mich davon ab, ihr mit der Chipkarte, die sie mir über den Tresen zurück schob, ein schönes "Z" zwischen die Sommersprossen zu ritzen und das im Anschluss als Malen nach Zahlen im Fieberwahn zu erklären. Da der Blutdruck messbar nicht stimmte, wie eine nicht ganz so arbeitsscheue Kollegin des Drachen feststellte, wurde ich behandelt - und werde seitdem vom Drachen misshandelt, wann immer sich die Gelegenheit dazu bietet. Schließlich habe ich mich als zusätzliche Arbeit frech eingeschleust, und nichts hasst der Drachen mehr als: Arbeit. Außer eben: zusätzliche Arbeit.

Dass sie mich, wann immer ich anrufe, schon direkt nach dem "Hallo" anschnauzt ("Können Sie endlich mal was sagen?" - "Entschuldigung, Sie haben vor drei Sekunden erst abgenommen und vor einer halben mit dem Reden aufgehört. Wusste nicht, dass ich schon dran bin." - "Ich lege gleich auf!"), kann kaum mit mir zu tun haben. Das ist vermutlich die Deluxe-Behandlung, die sie allen Patienten zukommen lässt. Manche von ihnen versuchen ja deshalb auch, sich mit Blumen und Pralinen einzuschleimen, die sie immer wieder wortlos entgegennimmt und mit eingefrorenem Gesicht auf einen Haufen (kein Scherz!) links von sich wirft. Um das gleich mal aufzuklären: Einen erkennbaren Vorteil dieser Bestechungsversuche habe ich noch nie erlebt.

Okay, vielleicht müssen die Schenker nicht vier Stunden warten, bis sie zwei Minuten ins Sprechzimmer dürfen. Und wenn, dann liegt das vielleicht wenigstens nicht daran, dass der Drachen die Chipkarte zwei Stunden lang "vor lauter Arbeit übersehen" hat. Das hat sie zumindest heute behauptet. Da ich mich erstens schon drauf eingestellt hatte und zweitens auf meinem angestammten Spion-Platz im Wartezimmer saß kann ich jetzt auch besser einschätzen, was der Drachen für eben diese Arbeit hält, dank der sie glatt ihre eigentliche Arbeit übersieht: Kuchen fressen. Leute anpampen. Dreimal die Tür zu- und auf Wink einer Kollegin reumütig wieder aufschließen. Für eine Stunde verschwunden sein. Einmal rufen "Labor ist DAAAAAHAAA!", um die Laborergebnisse dann erstmal runterzuwerfen und von einer Kollegin neu sortieren zu lassen. Und - ihre absolute Lieblingsbeschäftigung am heutigen Vormittag - in der Weltgeschichte rumtelefonieren und zuckersüß flöten: "Wir sind nämlich morgen nicht daaaaaaaaaaahaaaaaaaaaaa, die Praxis ist geschlossen."

Okay, ich habs mir überlegt: Wenn 20 Jahre lang nur das Verkünden meines süßen Nichtstuns und das Beschimpfen von Leuten, die mich beschenken, mein Auskommen gesichert haben, bin ich garantiert nicht so frustriert wie dieses dampfabsondernde Wesen. Und die Bezahlung kann sogar sein, wie sie will!

Freitag, 13. August 2010

"Hüüüüüüüüüüh!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!"

Wenn ich meiner Mutter etwas erzähle, das ihr überhaupt nicht in den Kram passt, klingt sie so. Nach letztem Atemzug vor dem ewigen Schlaf, nach einem zum Bersten gefüllten Luftballon, aus dem voll geladen die Luft entweicht. Das entsetzte Gesicht zum Geräusch hat sich ebenfalls in mein Gedächtnis gebrannt - als ich mit sieben heimlich auf den Zehnmeterturm geklettert bin und von oben gewunken habe. Da hat sie sicher genauso geklungen, nur hab ich es nicht gehört. Ich bin runtergehüpft, zum Beckenrand geschwommen, rausgeklettert - und bekam eine geknallt.

Das wäre glaube ich auch heute noch ihre Reaktion zum Geräusch, wenn es nicht so ganz besonders unpassend wäre, seine erwachsenen Kinder für Lebensentscheidungen zu vertrimmen. Also "hüüüüüüüüh!"t sie mich eben an, wann immer ihr der Sinn danach steht. Gerade eben zum Beispiel. Zwei Tage nach einem Vorstellungespräch für einen Job, keinen besonders tollen, keinen besonders schlechten, einen im wahrsten Sinne des Wortes einwandfreien Job, sage ich ihr: "Wollte euch nur wissen lassen, dass ich das nicht mache. Dafür schiebe ich meine Weltreise nicht auf. Ich habe abgesagt, denn ich will mich nicht in ein paar Jahren fragen, was ich eigentlich mit meinem Leben hätte anstellen wollen - das muss jetzt passieren." Ihre Reaktion? "Hüüüüüüüüüüh!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! (laaange Pause) Na, musst du ja wissen."

In einem großartigen Roman habe ich gelesen, dass das eigene Leben auf fünf Säulen steht: Familie, Liebe, Wohnung, Arbeit, Freunde. Und wenn sich meine Familie nicht irgendwann mal davon verabschiedet, mein Leben ganz diktieren zu wollen, dann bleiben wirklich "nur noch" Freunde. Und da sag noch einer, es wäre nicht an der Zeit zu verreisen. Hüüüüüüüh!

Mittwoch, 28. Juli 2010

ungenutzte Urlaubstage

Mein Leben ist nicht kaputt - sondern der Rahmen, der es hält. Ich bin nicht irre! Diese wundervolle Erkenntnis hat sich in meinem Kopf eingenistet und verlangt, niedergeschrieben zu werden. Und zwar ungeachtet der Tatsache, dass ich sie mit Anti-Mitesser-Streifen im ganzen Gesicht und zu den Klängen der Münchner Freiheit aufschreibe - sie ist tatsächlich trotzdem wahr!

Was der Plunder in meinem Gesicht und die Nasenaffen in meinen Ohren wollen? Es ist eben Urlaub, und ich habe einen ganzen Tag hinter mich zu bringen, der eigentlich mit nix gefüllt ist. Für gewöhnlich hasse ich das: müde vom gestrigen Tag, an dem ich um 14 Uhr in Stockholm in einen Zug gestiegen bin, um exakt um 24 Uhr in Erfurt aus einem zu klettern. Und es zwischendrin nicht mal geschafft habe, den Schriftzug "Royal Viking Hotel" zu fotografieren, weil ich schon zu schläfrig und faul war.

Morgen geht's dann auf nach Ibiza, wieder ein Tag in Autos, Zügen, Flugzeugen, Bussen... zwischendrin nur Zeit, um Wäsche zu waschen, die eh nicht mehr trocken wird, und den Seesack neu zu befüllen. Klingt nach Stress? Moment, da reibe ich mich mal kurz Wickie-mäßig an der bepflasterten Nase und sage: Nichts klingt weniger nach Stress als das!

Stress ist der ganze traurige Rest. Diese Erkenntnis verdanke ich einem einfach perfekten Kurztripp zur Märy nach Stockholm (DANKE DAFÜR!!). Mein kleiner, verspäteter Schwedenaufenthalt war traumhaft - aber glücklich wäre ich auch gewesen, hätte man mich doch das ganze Wochenende kurz vor Berlin im Zug hocken lassen wie ich auf der Hinfahrt befürchtete, als mal locker 50 Minuten lang gar nix ging und die Bahn es nicht für nötig befand, irgendjemandem einen Grund dafür zu nennen. Glücklich wäre ich natürlich auch an jedem Strand, auf jedem Berg, in jedem Wald und vielleicht sogar unter einigen Brücken dieser Welt gewesen - Hauptsache, sie haben nichts, aber auch nicht das geringste mit meiner Arbeit zu tun.

Fünf Tage haben gereicht, um mich wieder klarer sehen zu lassen und meinen Blick auf all das zu schärfen, was mich sonst einfach nur traurig macht und auslaugt: Ich liebe meinen Beruf - aber ich hasse meinen Job hier. Ich liebe meine Kollegenfreunde - aber ich hasse, wie wir gemeinsam in unserem Leid aufgehen statt über den Tellerrand zu blicken und uns an dem zu freuen, was sein wird, wenn wir das hier hinter uns lassen. Ich bin nicht irre - die Umstände geben mir nur manchmal das Gefühl. Aber nur ich kann die Umstände ändern. Und das werde ich, so schnell und so oft ich kann!

Bekloppte Urlauber-Philosophie? Mag sein. Aber ich hab mich schon lange nicht mehr so frei gefühlt wie jetzt, unter klebrigen Pickelpflastern und neben einer schlecht gepackten Tasche. Und das alleine ist es wert, hinausposaunt zu werden - selbst, wenn es keiner hört, für mich bleiben diese Zeilen immer ein Echo, das ich sicher schon bald brauchen werde. Bald, wenn ich eine neue Tasche, eine praktischere kaufen werde, um sie schlecht zu packen und hier rumzusitzen während ich darauf warte, zu gehen. Zu gehen, um meinen Rahmen gerade zu rücken. Da muss man echt auch mal pedantisch sein!

So gesehen ist also dieser Urlaubstag gar nicht ungenutzt - vielen Dank dafür an einen mir völlig unbekannten amerikanischen Touristen in Erfurt, der mich gezwungen hat, etwas zu tun, damit sich mein Wohlgefühl nicht gleich wieder verflüchtigt, und der mich so das Wohlgefühl nur noch klarer hat erkennen lassen. Klingt nach Zauberei, ist aber eigentlich nur, im wahrsten Sinne des Wortes, Blabla. Während ich an der Kasse im Supermarkt stand und er zu seiner Freundin sagte "I want you to buy some Stretch-Jeans like these" - und mit dem Kopf pseudo-heimlich in meine Richtung nickte - bescherte er mir die Eva-typische Gesicht-zur-Faust-geballt-Grimasse mit dem Zusatz "And i want you to wear them out like she does".

Jemand findet meine Jeans, die am Arsch aufgeplatzt ist und die keinen Platz für die fünf Kilo Kummerspeck zusätzlich hat abgenutzt? Das "Buhuhuhu"-Gefühl der letzten Monate war, lächerlich!, schon bis zu meinen Füßen geschlichen, um von dort aus hochzukrabbeln und sich spätestens im strömenden Regen auf dem Weg zum Auto oder heute Abend beim Grillen mit Kollegen wieder in mein Herz zu setzen und da die Wände schwarz zu streichen.

Aber ehrlich: Das einzige, was hier wirklich worn out ist, ist dieses Gefühl. Deshalb gilt ab heute: "I don't give half a fuck", um einen wunderschönen Satz aus dem Mund eines wunderschönen Schweden zu zitieren. Nicht zu der Frage, wie die Welt meine Hose findet - und ab sofort auch nicht mehr dazu, wie die Welt mein Leben findet. Ist schließlich meins. Nur meins! Und wenn das manchmal selbst mir nicht passt, ist das in erster Linie mein Problem - und Probleme kann man, ganz im Gegensatz zu permanenten Stimmungstiefs, lösen.

Sonntag, 4. Juli 2010

Zewa Softis auf dem Klo

Da lebt man mit drei Menschen zusammen, und trotzdem kauft nur einer Klopapier: ich! Oder eben auch nicht, wenn ich sogar das Bloggen für sechs Wochen vergesse (sorry!).

Wozu mein Unvermögen dann führt? Natürlich nicht zu spontanen Vier-Lagen-Lustkäufen bei meinen werten Mitbewohnern, sondern zu männlichem Abschütteln des Problems samt letztem Tropfen. Weshalb ich nach einem laaaangen Arbeitstag so gegen 22 Uhr erst komplett ohne alles auf dem Klo sitze und brülle ("SCHEISSE!!!"), um dann doch wieder einmal die Zewa Softis auf den Spülkasten zu legen.

Ich hasse das. Diese Geste ist das ultimative Eingeständnis des Scheiterns. Ja, mein Leben ist zu voll zum Einkaufen von Hygieneprodukten. Ja, ich wische mit teurem Geld ab. Ja, ich bin zu vergesslich um mir das bis zum nächsten Tag zu merken.

Irgendwann bin ich offenbar zum Zewa-Softi mutiert und schlaffe ab, wo mein Leben von mir ein wenig Biss verlangt. Kofferraum kaputt? Oooch, Einkäufe und Koffer kann man doch auch monatelang auf der Rückbank spazieren fahren (rächt sich erst, wenn man sein eigenes Fahrrad einladen muss und das nicht durch die Tür passt). Zahnschmerzen seit Wochen? Lieber Ausschlafen als zum Arzt gehen (rächt sich mit der Röntgenaufnahme des eigenen Gebisses, Hometown of Carius & Baktus, die einen vielleicht nie wieder ruhig schlafen lassen wird.) Bewerbungen? Joooa, ich schreib mir ne Handynotiz. Was vernünftiges Essen? Hab doch die Nummer vom Pizzaservice. Wenigstens Urlaub planen? Is' so heiß gerade...

Das war alles auszuhalten. Aber jetzt verhöhnen mich die Zewa Softis bei jedem Toilettenbesuch, und ich habe eine sehr schwache Blase. "Du bist faul" klugscheißt es hinter mir vom Wasserkasten. Wäre heute nicht Sonntag, ich würde sofort die nächste Drogerie stürmen.

Vielleicht. Is' ja, wie gesagt, so heiß... ;)

Montag, 24. Mai 2010

spontane Entscheidungen

Was will ich studieren? Wo leben? Wohin abends ausgehen? Welche Pflanze aus dem Baumarkt "retten"?

Meine Entscheidungen sind für gewöhnlich gut überdachte, völlig über-dachte Urteile, die vor allem auf dem basieren, was man Verstand nennen könnte - wäre das nicht zufällig der gleiche Teil von mir, der in berauschten Zuständen gerne Panikattacken bekommt. Und zwar á la "Oh Gott, die werden demnächst die Mauer wieder aufbauen und dann steh' ich auf der falschen Seite" (gestern) bis zu "Der Golfstrom ist stehengeblieben, hoffentlich hat einer meiner Nachbarn Tennisschläger im Keller als Schneeschuhe" (während der Eiseskältewelle vor eineinhalb Jahren).

Informationen sind für gewöhnlich die Impulse, die mich von einer Entscheidung zur nächsten treiben und vorher das Denken, Grübeln, Paniken anwerfen. Für gewöhnlich.

Allerdings geschieht seit Kurzem eben Ungewöhnliches. Bauchentscheidungen. Gefühlsausbrüche. Kopfloses Glücklichsein und verkopftes Unglücklichsein im Wechsel. Und mittendrin höre ich mich plötzlich in einem Gespräch etwas sagen, dass ich bisher nicht einmal gedacht habe. In einem Gespräch, das sich ausschließlich um meine ach so wichtige und - nach zumindest bisher geäußertem Wunsch, vor allem auch meiner Eltern - hoffentlich ach so erfolgreiche Zukunft drehen soll. In diesem Gespräch sage ich: "Nein, ich will nicht sofort anfangen. Ich will um die Welt reisen."

Will ich das? Weiß mein Verstand davon? Hat mein Gehirn davon gehört? Ist die Welt nicht dieser überbevölkerte Schuppen, in dem ich praktisch kein Schwein kenne? Kann einem da nicht alles geklaut werden, während man in einem Busch gezogen und gegessen wird, bei voller Verstopfung und mit Malaria infiziert? Was macht mein Leben ohne mich, während ich Urlaub davon mache? Wie wird es mich empfangen, wenn ich zurückkomme? Werde ich nicht bei einwöchigen Pauschalreisen schon nach drei Tagen mental gewalttätig und spreche sicherheitshalber mit niemandem mehr, bis ich endlich wieder einen Strammen Max auf Schwarzbrot hatte, obwohl ich Schwarzbrot sonst zum Kotzen finde? Ist das hier eine Flucht? Wenn es eine ist: Ist sie nicht der letztendgültige Beweis meines ständigen Scheiterns?

Mein sogenannter Verstand ist also seit diesem Gespräch, das Wochen zurückliegt, in Hochform. Nur kommt er, und keiner - zuletzt er - weiß, warum, nicht gegen meinen Bauch an. Den kann ich mir behaglich reiben, während ich mir vorstelle, wohin ich will. Warm wird es mir dabei. Der Verstand plärrt zwar weiter wie eine eifersüchtige Ehefrau, aber mein warmer Bauch schweigt, ganz ruhig. Auch, wenn mich plötzlich Adrenalin bei der tatsächlichen Planung fragt: "Bist du bescheuert?" Mein Bauch findet: "So ist es, das Leben." Das sagt er mir nicht. Das weiß ich. Ohne drüber nachzudenken.

Es wird Zeit, dass sich der Rest von mir auf meinen Bauch eingrooved. Findet wohl auch STA-Travel und hat meinem Verstand das hier eingeschänkt (oder eingeschenkt?): den Long Iceland Ice Tea. Der versetzt meinen Kopf in Rausch-Rationalität. Und die ist eh nie ernstzunehmen. Findet mein Bauch.

Sonntag, 16. Mai 2010

Again what learned (2)

Ein aktives Wochenende ganz ohne meine sonstige Lieblingsbeschäftigung - faul rumliegen und zur körperlichen Ertüchtigung maximal kauen - kann einem die Augen öffnen:

1. Aktivität ist Bewegung ist Aua. Mein rechter Arm ist noch schlaffer als mein Körper im Durchschnitt - er lässt sich und uns gerne Mal hängen. Schmerzhaft wegknickende Arme sind zwar etwa beim Transport der überreichlichen Supermarkt-Beute lästig, aber zugleich Ausblick in eine schönere Zukunft: Sehnenscheidenentzündung? Arbeitsverbot? Aktivität ist Bewegung ist Aua ist schön!

2. Masochismus kann noch ganz andere Blüten tragen. Zum Beispiel kann man ja ganz vorwitzig gemeinsam mit jener Stiefelfrau zu Mittag essen, die ihr geliebter Freund einfach mal alleine in die Küche gejagt hat. Um dabei die Erkenntnis zu gewinnen: Situationen, vor denen man sich lange fürchtet, sind weit weniger schlimm, als es die Furcht davor war. Kommt dann auch noch eine aberwitzige Abwandlung des Hund-Herrchen-Prinzips - beide sehen sich, je mehr Zeit sie miteinander verbringen, zunehmend ähnlich - ins Spiel, kann es zu spontanem Grinsen und unkontrolliertem Hochgefühl kommen. Großwetterlage Frohsinn, stellenweise spitzt ein wenig "Mann, bin ich eine geile Sau - und so nett!" durch die Wolkenschicht.

3. Vergiss vor lauter Hochgefühl und -mut niemals, nieeemals die Kinder deiner Mitmenschen! Ob man noch schneller im Ansehen eines Mitbewohners sinken kann als mit einer hübsch formulierten Zimmer-Anzeige im Internet, die leider den WG-Dreijährigen ausspart, ist noch unerforscht. Nachdenklich sollte stimmen, wenn sich so ein Dreijähriger gar nicht mal so unkompliziert nachträglich in den Anzeigentext einbauen lässt: Wir (außer Valentin) sind berufstätig und jederzeit (natürlich auch außer Valentin) für ein Bier zu haben?

Bleiben nach einem erfüllten Wochenende folgende Fragen offen: Wie beruhigt man einen gekränkten Vater, der nie zugeben würde, gekränkt zu sein? Was spritzt man sich in welche Hautfalte, damit nach drei Stunden "Avatar" der Abdruck einer 3D-Brille für immer verschwindet? Wie öffnet man so eine Brillenverpackung überhaupt, ohne von der neuen Geißel des Kinobesuchs heimgesucht zu werden? (Auf das traditionelle "Hilfe, ich sitze hinter dem größten Mann im Kino, und er hat sich die Drahtwolle auf seinem Kopf toupiert!" folgt in der neuen Zeitrechnung "Scheiße, auf meiner 3D-Brille ist ein Fingerabdruck, ein ganz großer. Mist, und wenn ich ihn mit dem Ärmel abwi... toll, jetzt ist er noch größer. Und verschmiert. Ganz toll.") Und: Wie stoppt man die unweigerliche eigene Arroganter-Werdung, wenn einem das Leben gar keine andere Wahl mehr lässt als sich aus Notwehr selber großartig zu finden?

Samstag, 15. Mai 2010

Ärger in Absurdistan

Keine Ahnung, wann genau das passiert ist, aber: Ich ärgere mich nicht mehr. Gut, wer mich jeden Tag bei der Arbeit erlebt wird das nicht glauben, weil ich da schon aus alter Gewohnheit noch schnaufe wie ein Ackergaul und hin und wieder empört keife. Aber irgendwie fühle ich keinen Ärger mehr. Dafür ist das hier auch alles viel zu absurd - und absurd bringt mich neuerdings zum Strahlen.

Gerade zum Beispiel gastiert die Stiefelfrau zwei Zimmer weiter. Sie ist es, ich habe die Stiefel erkannt - sie ist die Ex-und-jetzt-wieder-Freundin meines Mitbewohners, und mich würde es nicht mal jucken, wie die beiden da hinten gerade Kinder zeugen. Dafür habe ich auch viel zu sehr darüber gelacht, dass er mit dem Satz "Ich bin wieder mit meiner Ex-Freundin zusammen" um die Ecke bog, als er endlich auch mitgekriegt hat, dass ich für ihn nicht zu haben bin.

Das war, als ich gerade mein Leid über einen anderen Mann klagte. Einen, den ich nicht haben will oder gar kann, aber dessen Komplimente und Freundlichkeiten mir den Tag versüßt haben. So lange, bis es kaum noch Abstände dazwischen gab. Und ehrlich: Kein Mann ist einfallsreich und interessant genug, als das seine Komplimente nicht irgendwann den Reiz verlieren. Spätestens, wenn man sie praktisch 24 Stunden am Tag serviert bekommt. Inzwischen: Ein Grund zum Lachen.

Wie auch diese ganzen merkwürdigen Tage, die mit Sitzungen bei Professoren beginnen, mit dem Austausch von Unfreundlichkeiten unter Freundinnen weitergehen und in einem Abend bei Howard Carpendale oder gar Florian Silbereisen gipfeln. Bei Howard Carpendale habe ich mitgesungen! Bei Florian Silbereisen fassunglos erstarrt zwischen 4000 Rentnern gesessen und sein antrainiertes Grinsen bewundert!

Bin ich jetzt einfach total ausgeglichen - oder muss ich mir erst Recht Sorgen um mein Gemüt machen?

Donnerstag, 8. April 2010

Albtraumtage

Wenn der Tag um 7 Uhr beginnt, weil man plötzlich hellwach im Bett hockt und sich nach einem ungläubigen Blick auf die Uhr wieder zusammenrollt, ist er bei mir auch praktisch schon wieder zuende. Denn dann kommen die Albträume. Und ich weiß nie, ob sie schon vorbei sind.

Nummer 1 kann ich definitiv unter "Traum, vorbei, uff!" verbuchen. Die Stiefelfrau schlief in meinem Zimmer (und die Frau schnarcht, und stinkt, nebenbei bemerkt), um sich anschließend am Frühstückstisch meinem Mitbewohner um den Hals zu wickeln und sich dann mit ihm gemeinsam auf einen Drogentrip zu verabschieden. In Surfershorts. Beide. Als sie zur Tür raus sind, wache ich schweißgebadet auf. Und schleppe mich erst ins Bad und dann zur Arbeit.

In der ersten Sekunde in meinem Büro stelle ich fest: Scheiße, wo ist mein BH? Das ist in der Traumdeutung sicher die Vorstufe zum Klassiker "Nackt in der Öffentlichkeit unterwegs". Nur war es leider kein Traum. Tatsächlich hatte ich, verflucht sei die stinkende Stiefelfrau, in meinem morgendlichen Tran einfach mal vergessen, mir Brüste anzuschnallen. Glücklicherweise konnte ich mich über weite Strecken des Tages hinter verschränkten Oberarmen und aufgeklappten Zeitungen verstecken. Zu meiner Überraschung hat es auch keiner meiner Kollegen-Schweine entdeckt. Oder zumindest nicht kommentiert. Sind also keine so großen Schweine, wie ich immer dachte. Das muss doch ein Traum sein!

Zehn Minuten nach Schock Nummer 2 dann Schock Nummer 3. Eine E-Mail. Ein kurzes Jobangebot. An der Uni. Ich wurde von meinem eventuell irgendwann Doktorvater für irgendwas weiterempfohlen, das ich nicht einmal ansatzweise verstehe. Ich! Schweißausbruch. Immerhin nicht in den BH, immerhin. Ob die das Ernst meinen, ob ich das wirklich machen soll und ob dann endgültig auffliegt, dass ich geistig nur knapp über dem Boden fliege, wird sich wohl erst später klären lassen. Ich konnte nämlich noch nicht endgültig ausschließen, ob das nicht vielleicht doch nur ein Albtraum war. Ich trau mich nicht mal mehr, mein Postfach zu öffnen.

Wenn mich also morgen zwischen 6 und 7 Uhr wieder mein ältester Mitbewohner weckt, weil er in der Küche lautstark über die Zeitung lacht (Vielleicht sollten wir auch einfach eine bessere Zeitung machen, um das zu verhindern?), dann werde ich mich nicht hinlegen und mir die Oropax tiefer in den Gehörgang pressen. Ich werde aufstehen, meine High-Heels anziehen und ihm von hinten mit Schwung in die Eier treten. Gott ist damit sicher einverstanden. Es heißt ja nicht umsonst: Aufstehen, aufeinander zugehen...

Samstag, 13. März 2010

Again what learned (1)

Späte Erkenntnis ist schmerzhaft. Vor allem, wenn sie erst im hohen Alter (also mit 29) durchschlägt. Heute bereits drei Mal.

1. Make-Up gehört ins Gesicht. Am besten immer. Zumindest aber, wenn man das Haus verlässt. Sonst kann es am Samstagmorgen um 10 Uhr passieren, dass man an der Lottoannahmestelle gefragt wird: "Darf ich mal ihren Ausweis sehen?" Nett, aber mal ehrlich: Wofür habe ich die letzten zehn Jahre geraucht und gesoffen?

2. Egal wie schlecht es geht: Symptome aller Art dürfen niemals, NIIIEMALS gegoogelt werden. Am Ende hat man immer Krebs. IMMER!

3. Fertigmahlzeiten, die für die Mikrowelle gemacht sind, wollen in die Mikrowelle. Wirklich nicht in den Ofen. Wer es trotzdem probiert, kann sich schon einmal geistig auf den Weg zur Mülltonne vorbereiten. Dort wollen die Speisereste schließlich zeitnah und publikumsunwirksam entsorgt werden. Wann es soweit ist, darüber informiert der zarte Duft von geschmolzenem Plastik. (Und ausgerechnet ich habe wenige Stunden zuvor ein Veto gegen den Gasherd ausgesprochen: "Wir haben einen Dreijährigen im Haus!" Offenbar bin das aber ich.)

Mittwoch, 10. März 2010

Lärmbelästigung

Darf man auch mit Unter-60 mit dem Besenstiel gegen die Nachbarn von oben in den Krieg ziehen? Mir egal - ich mach das jetzt. Jeden Augenblick. Egal, ob meine liebevoll gemalerte Decke davon Dellen bekommt. Gleich gehts los. Mir egal, ob die Frutten von oben dann im Flur nicht mehr Hallo zu mir sagen. Mir alles egal. Solange sie nur endlich aufhören, mehrstimmig schief und immerimmerimmer wiederholt "Mad World" zu singen. Inhaltlich haben die Deppen ja auch noch sooo recht!

Natürlich kann die Bande nicht wissen, dass ihr dilettantisches Gesinge da oben auf ein fadenscheiniges Nervenkostüm hier unten trifft. Dass ich momentan bereits die Stimme eines Mannes, den ich leider fast täglich sehen muss, als Lärmbelästigung empfinde. Auch ganz ohne Lärm und unabhängig davon, WAS er sagt. Wobei es Inhalt und Wortwahl durchaus noch unerträglicher machen können ("... oder so, nä?").

Die Mädels wissen nicht einmal, dass ihr Tage eigentlich schon gezählt waren, als sie zuletzt mit Blockflöten etwas gezaubert haben, das stark an Zwölftonmusik aus der Feder Bekloppter erinnerte. Und das nachts um eins an meinem Geburtstag. Direkt über meinem Bett. Genau da, wo sie neulich einen Blumentopf fallen ließen, erst eine Stunde lang die Scherben lautstark auf dem Parkett hin- und herschoben (manche nennen es wohl "Fegen"), um sie dann doch rasselnd vom Staubsauger einatmen zu lassen. Nachts um drei, falls sich jemand wundern sollte, warum ich das so detailfreudig mitgeschnitten habe. Ha. Jetzt lachen sie auch noch...

Bin ich einfach zu alt für WGs und von Studenten bevölkerte Häuser? Oder will ich eventuell an den kichernden Gören eine Etage weiter oben nur die Wut abreagieren, die sich eigentlich die Stiefelfrau (samt nach wie vor schweigendem Herzbube) ehrlich verdient hat? Wie dem auch sei: Ich muss handeln. Jetzt. Sie haben ein Saxophon gefunden. Warum mit dem Besenstiel nur gegen die Decke klopfen?

Dienstag, 9. Februar 2010

die Stiefelfrau

Im unserem Flur stehen Stiefel. Frauenstiefel. Warum das ein Problem ist? Warum ich möglicherweise in Kürze von der Polizei aufgegriffen werde, strampelnd, fluchend und "Das ist die Stiefelfrau" brüllend? Ein "Lustspiel" in fünf Akten erklärt's (und wer mein jammervolles Gesülze der letzten Wochen kennt, sollte einfach beim 5. Akt einsteigen, den Nerven zuliebe):

1. Akt

Innerhalb von wenigen Tagen ziehe ich zurück nach Erfurt und fange einen neuen Job an. Keine Zeit für Wohnungssuche - also lande ich in meiner alten WG. Im Gästezimmer, denn in meinem alten Zimmer wohnt mittlerweile: Er. Viel zu jung, ganz anders als ich, völlig fremd... aber als er mir die Tür öffnet röhrt durch meinen Kopf nur ein: "Harrrrrr." Fünf Tage, in denen wir so viel wie möglich zusammenhängen und uns fantastisch verstehen reichen, um die Basis für ein schönes Desaster zu legen. Denn: "Der Mann hat eine Freundin." Hierbei handelt es sich um einen O-Ton. Ich sagte ja nicht, er sei eloquent.


2. Akt

Nach einer Woche erlebe ich den romantischsten Tag meines bisherigen Lebens. Inklusive erstem Kuss und "Ich bin verliebt in dich" - und das sagt er! HERRLICH! Und: Scheiße, hat ja ne Freundin, der Mann. Dass ich ab da aus erster Hand weiß, dass er seine Freundin zu betrügen pflegt, verstärkt meine ohnehin vorhandenen Zweifel, ob ich das Ganze eigentlich will. Wollen kann. Wollen sollte. Seine Entscheidung, direkt am nächsten Tag alles bleiben zu lassen und unter "schauen wir mal, wie es weitergeht" zu verbuchen, tut ein übrigens. Nach einer Woche friedlicher Koexistenz verschwindet er für zwei Monate. In denen ich übermütig beschließe: Na, mir gehts doch bestens. Da kann ich doch auch einfach ganz hier einziehen. So richtig. (Anmerkung mit historischem Abstand: Suuuuper Idee!!)

3. Akt

Nach aristotelischem Verständnis ja wohl irgendwie der Höhepunkt. Ich sag's gleich: NICHT! Auf schwierige Wochen nach seiner Rückkehr und dem völlig unvermittelt hingerotzten Satz "Ich bin nicht mehr mit meiner Freundin zusammen" folgt das Hochplateau der fühlbaren Anspannung zwischen uns. Man hätte es für sexuelle Anspannung halten können, aber vielleicht war's nur Elektrosmog in der Wohnung. Nach einer Party führt eines zum anderen, all das zu Ärger - denn niemand ist bei Überforderung so uncharmant wie dieses Exemplar - und eine nur undeutlich amüsantere Wiederholung macht's auch nicht besser. In meinem Kopf ist das "Harrrrr" vom Anfang längst abgelöst. Und zwar von einem riesigen, pulsierenden Fragezeichen in stetigem Wechsel mit einem "Nä, NÄ, willichnichhabenoderdoch, nä, NÄ"-Monolog der Spitzenklasse.

4. Akt

Nichts ist klar, nichts ist besprochen, ein beidseitiges "Nä, keine Beziehung, bitte. Gerade nicht. Danke" steht im Raum und wird von gelegentlichen anzüglichen Kommentaren der übrigen Insassen dieser WG beschossen. Ich lerne eine interessante Lektion: Wenn man will, kann man sich wirklich über alles streiten: Wieviel Prozent Steigung hat ein rechter Winkel? Wie baut man einen Ikea-Schrank RICHTIG auf, wenn es zwei alternative Lösungswege laut Anleitung gibt? Es wird also um die Wette klug geschissen. Die Stimmung ist - überraschend, aber wahr! - am Boden. Das Fragezeichen in meinem Kopf hört trotzdem nicht auf, zu pulsieren. Was, wenn das anders gelaufen wäre? Hätte es was werden können, wenn wir nicht so rieeesigen Ballast angehäuft hätten? Oder hat es nicht funktioniert, weil wir einfach nicht funktionieren?

5. Akt

Im Flur stehen Stiefel. Frauenstiefel. Morgens um halb neun. Zwischen seinen Schuhen. Mir wird sofort schlecht. Statt ins Bad zu stürzen und zu kotzen atme ich tief durch, gehe aus der Wohnungstür und fange im Auto an zu heulen. Saublöde Angewohnheit auch, morgens an seinen Schuhen abzulesen, ob er daheim gepennt hat oder nicht. Und dann sowas! Und die Stiefel waren auch noch schöööön! Natürlich war mir klar, dass irgendwann einer von uns jemand anderen anschleppt. Allerdings hatte ich - haha, man wird ja wohl noch träumen dürfen! - gehofft, dass ich das bin. (DANKE, "Horst", für's Nicht-Helfen an dieser Stelle!)
Eigentlich ist das auch völlig okay. Eigentlich geht mich das auch gar nix an. Eigentlich ist mir das natürlich auch total scheißegal. Uneigentlich laufe ich jetzt allerdings durch die Gegend und spiele eine merkwürdige Rolle in einer modernen Aschenputtel-Version: Jeder Frau schaue ich auf ihre Füße. Überall, ständig, immer suche ich panisch die Stiefelfrau. Wer ist sie? Kenn ich sie? Was genau ist sie? Ficke? Freundin? Wieso interessiert mich das überhaupt? Wo hat sie die Stiefel her? War sie das gerade? Und, am wichtigsten eigentlich, wenn ich das unwürdige Spiel schon nicht lassen kann: Was mache ich, wenn ich die Frau zum Stiefel gefunden habe? Falle ich sie an? Frage ich sie "War es für dich auch so scheiße?" Oder werde ich lachen, weil sie tatsächlich die 20-jährige Zweitsemester-Frucht ist, die ich mir in die Stiefel fantasiert habe? Die irgendwas sozialpädagogisches studiert, weil sie "helfen will". In größeren Runden lieber nicht redet, um nichts Dummes zu sagen. Sich verschämt das blonde aalglatte Haar aus dem Gesicht streicht. Sich nach einem halben Glas Weißwein auch gerne mal den Magen auspumpen lässt. Am liebsten Eskimoküsse austauscht. Oder, totaler Worst-Case: Werde ich sie und ihre Stiefel öfter sehen? Vielleicht schon morgen früh? Und werde ich sie am Ende sogar noch mögen?

Werde ich endlich mal aufhören, von Männern, die ich eigentlich gar nicht will oder auch doch weiß nicht frag mich nochmal später zu erwarten, dass sie sich für mich aufsparen, bis ich mich mit mir selbst geeinigt habe?

P.S.: Eigentlich hasse ich ja Menschen, die nach dem "Paul ist tot"-Prinzip funktionieren. Nicht wahr?

Sonntag, 31. Januar 2010

stellvertretend für alle schwierigen Männer: Mr. Darcy

Nach einem Wochenende voller Pride & Prejudice Verfilmungen, Adaptionen und Anspielungen ist Ebbe in meinen Tränendrüsen und Wut im Bauch. Das Gefühl, im eigenen Leben falsch zu sein, weil es da keine Liebe gibt, hat mich mal wieder einen Fluchtversuch starten lassen.

Erfahrungsgemäß kommt man aber nicht aus seiner Haut, und ich komme meistens nicht einmal mehr aus dem Auto, wenn ich erst drin sitze. Das eigentliche Ziel "Spaziergang" wurde dann auch umfunktioniert zu "Rumfahren mit fakultativem anschließenden Spaziergang", wobei mein Autoradio offenbar auf der Gehaltsliste meiner Eltern steht und mich an die frische Lust scheuchen wollte - mit "You've lost that loving feeling" dicht gefolgt von "Besser gehts nicht". Schonmal während eines Heulkrampfs ganz fürchterlich gelacht? Schön ist anders.

Aber zurück zu Mr. Darcy, dem Arsch: Der hätte Elisabeth Bennett natürlich auch nicht gewollt, wenn sie unausgeglichen, grenzpsychotisch, beziehungsgeschädigt und überfordert gewesen wäre. Leider ist es aber dem ungesunden Einfluss der Realität zu verdanken, dass nicht wenige von uns so sind, heutzutage. Vom Job ausgelaugt, von der Unsicherheit gefoltert, vom Zweifel an den eigenen Entscheidungen gelähmt, von zu vielen Menschen enttäuscht. Und das Warten auf Mr. Darcy macht es auch nicht leichter!! Das Gejammer beim Warten macht natürlich das Finden nicht leichter...

Bevor das hier in meinen persönlichen Katzenjammer ausartet: in allem, was ich sage, ist noch jede Menge Katzenjammer, Katerjammer dabei. Trotzdem: Ich will DAS HIER - die Unverschämtheiten darin würde ich glatt übersehen!

Dienstag, 26. Januar 2010

ein Leben ohne Mephisto






Heute ist mein Kater gestorben. Mein kleiner, dicker, wunderschöner, herzensguter, plüschiger Kater hatte keine Lust mehr darauf, alt zu sein. Vor vielleicht zwei Stunden ist er auf dem Arm meiner Mutter eingeschlafen. Seitdem kann ich nicht aufhören zu heulen. Und anstatt einfach nur weiterzuflennen und das Gefühl zu haben, ich müsste mich dafür lächerlich kindisch fühlen, versuche ich lieber zu erklären, wie es sich mein Tiger verdient hat, betrauert zu werden wie ein Zweibeiner.

Mephisto wollte ich ihn ja gar nicht nennen, als ich ihn mit 13 endlich haben durfte. Ich wollte ihn Monster nennen. Das passte, fand ich: ein drahtiger graugetigerter Kater mit entschlossen herausforderndem Blick aus grünen Augen. Als wir ihn und seine zarte Schwester aus dem Hasenstall eines fränkischen Bauerhofs "retteten" - so kam mir das zumindest damals vor -, kletterte er schnurstracks auf mich zu, ich nahm ihn in den Arm oder vielmehr in die Hand... und schon hatte er sich freigekämpft und marschierte über den Hof. Die Geschichte lehrt uns, dass ich ihn mir selbstverständlich wieder geschnappt habe. Und zwar immer und immer wieder.

Mein Kater war eigentlich ein Mensch. Und noch eigentlicher war er ein Macho. Wie wunderschön er war auf seinen perfekten strammen Beinen, mit seiner strahlend braunen Nase, dem breiten Schädel und der präzisen Tigerzeichnung war ihm eigentlich immer bewusst. Aber er mochte seine Fans. Er leistet ihnen Gesellschaft, sobald sie mit Besteck klapperten um Menschenfutter zu essen. In späteren Jahren hatte Mephisto dafür sogar einen angestammten Platz, an dem er saß und seinen Pflichtteil einforderte. Er drückte ihnen im Vorbeigehen, wenn sie bereit waren sich zu ihm zu beugen, gerne seine breite Nase ein wenig zu fest ins Gesicht. Und manchmal, bei besonders guter Laune, blieb er auch mal über Nacht. Aber natürlich nur, wenn er sich dahin legen durfte wo ER wollte - auf die Brust oder zwischen die Beine, sein Ziel war so oder so die völlige Bewegungsunfähigkeit seiner menschlichen Matratze. Er war ein Ego-Macho aus dem Lehrbuch, und trotzdem (gerade deshalb?) mein Held.

Es gibt so viele Erlebnisse mit diesem Kater, die ich nie vergessen werde. Und da zähle ich seine endlose Geduld mit den Tränen eines von Liebeskummer geplagten Teenagers gar nicht mit. Mephisto hatte Entertainerqualitäten. Wenn er einen Luftballon jagte oder seinen eigenen Schwanz. Wenn er einen vorwitzig unter einer Bettdecke hervorspitzelnden Fuß erlegen wollte und ihn mit weit aufgerissenen Augen und vorgeklappten Ohren attackierte - oft genug inklusive vorherigem Anschleichen, wobei er immer hochkonzentriert mit dem Arsch wackelte. Wenn er, vom Besteckgeklapper geweckt, am Esstisch saß, bevor auch nur irgendein Mensch sich dort blicken ließ. Wenn er gestreichelt werden wollte und einem zu diesem Zweck mit lang ausgestreckter Pfote das Buch aus der Hand zog. Wenn er mit dem Schäferhund der Nachbarn spielen wollte. Aber eigentlich einfach immer.

Werde ich einmal vergessen, dass mein dicker Kater entsetzliche Schweißpfoten hatte und auf glatten Oberflächen manchmal sogar Tappser hinterließ? Werde ich vergessen, wie seine verzweifelten Schreiversuche als Baby, auf der Fahrt vom Bauernhof nach Hause, klangen? Wird meine Mutter mir endlich glauben, dass er mir bei meinem ersten Heimatbesuch als Studentin mitten in der Nacht auf die Bettdecke gepisst hat und sofort schuldbewusst abdampfte?

Ich hätte so gern noch einmal gesehen, wie der Fakir-Kater eine winzige Kiste oder Tasche mit diesem Blick ansieht - "Na, da pass ich aber doch rein. Das wollen wir mal sehen!" - um sich dann systematisch reinzuquetschen. Zum Glück gibt es reichlich Bilder von Mephisto auf Küchenwaagen, in Weinschränken, im Wäschetrockner, in Reisetaschen, Nase zuerst in den Schuhen meines Bruders ("Zeitung lesen", wie mein Vater es nannte), im Chianti-Karton mitsamt seiner schockiert dreinblickenden Schwester. Ich hätte so gerne noch einmal miterlebt, wie er angerannt kommt, wenn man ihn ruft, bei jedem Schritt leicht quäkend vor Freude, und mir dann seine Nase ins Gesicht rammt. Und ich will ihn noch einmal Schnurren hören. Dieses Schnurren, dass nur er konnte, das die gefühlte Lautstärke eines Rasenmähers hatte und einfach nichts anderes sagte als: "Mann, gehts mir gut."

Ans Paradies zu glauben ist mir ja eigentlich zu blöd. Aber trotzdem hoffe ich, dass mein hedonistischer Schönling irgendwo ist, wo er schlafen kann solange er will, sich danach den Bauch vollschlägt mit dem, wonach ihm gerade ist - und dann mit Gelbwurst! - und wo er seine Schwester ignorieren kann. Denn scheinbar hat er die doch ein bisschen gemocht. Und uns auch.

Und jetzt noch einen völlig Over-The-Top: Danke, kleines herzensgutes Katerchen, für 15 Jahre in deinem Bann!

Montag, 18. Januar 2010

Geldausgeben

Bezahlen verschafft mir Übelkeit. Bar, per Karte, egal. Geldausgeben ist für mich ab einer bestimmten Summe – je nach Tagesform 100 Euro oder 10 Euro – eine entsetzliche Qual. Natürlich weiß ich, dass dieses Ritual zum Leben dazu gehört. Zumindest meine linke Gehirnhälfte weiß davon. Die rechte erfreut sich derweil am wachsenden Kontostand und träumt von einem Geldspeicher á la Dagobert Duck, zum drin baden. Das schenkt mir die Illusion von Sicherheit. Dieser Fehler im System macht mir fast unmöglich, worauf sich andere freuen: das Möbelkaufen.

Aber die Zeiten, in denen sich ich mich studentisch gegen 13 Uhr von meiner Matratze auf nacktem Boden gerollt habe, sind einfach vorbei. Sagt mein Rücken. Ein Bett muss her. Und wenn wir schon dabei sind auch ein Schrank. Also ab in das freundliche schwedische Möbelhaus, in dem so schön geduzt wird und das praktischerweise in Sichtweite meines Arbeitsplatzes liegt. Tagsüber also Geld verdienen, um es abends schweren Herzens auszugeben. Nur so kann ich mich überhaupt von dreistelligen Summen trennen. Dachte ich.

In der Bettenabteilung ereilte mich der erste Schweißausbruch. Über 300 Euro für das einzige Bett, das es auch nur in die engere Auswahl geschafft hatte? Der Magen knurrte. Na gut, wer braucht schon eine neue Matratze? Lieber schnell weiter. Bei den Schränken stimmte ein merkwürdiges Gurgeln in das Geknurre ein. Aus der linken Gehirnhälfte orakelte es „SOS, aufgebrochenes Magengeschwür!“, als mich einer von den freundlichen Duzern im gelben Hemd ansprach: „Kann ich dir helfen?“ Fünf Minuten später war der Auftrag für Bett und Schrank gedruckt. Frei nach dem Motto „Augen zu und durch“ habe ich leider keine Ahnung, was genau man mir in wenigen Tagen liefern wird, ich weiß nur: Es wird teuer. Daran erinnert mich die Übelkeit. Aber es muss sein. Daran erinnert mich mein Rücken.

Und weil es gerade so schön und vor allem, weil es vorbei war, gönnte ich mir noch einen Bummel durch das Erdgeschoss. „Warum“, schoss es mir durch den Kopf, „eigentlich nicht noch diese schöne Lampe?“ Kostet ja im Vergleich zur eben erzielten Rechnung nix! „Warum nicht“ hätte mein Vater beantworten können: Weil das Kind nicht einmal als Zwerg in der Lage war, sich zu entscheiden, ob das Taschengeld in Schokolade oder Gummibärchen investiert werden soll – und deshalb sämtliche Beute an der Kasse in die Zigaretten donnerte.

Nur donnert sich so eine Lampe, die man schon ein paar Meter durchs Möbelhaus geschleppt hat, ganz schlecht zwischen die Batterien. Weshalb ich kurz vor der Kasse kehrt macht, peinlich berührt zurück schlurfte und das gute Stück wieder ins Regal stellte. Nicht unbemerkt von einem etwa vierzigjährigen Mann mit zwei gelbe Tüten über den Schultern, der mich hinter den vor der Brust aufgestapelten Kleinigkeiten erspähte. „Eine getroffene Entscheidung auch mal rückgängig machen, das finde ich gut!“ posaunte er in Richtung seiner Frau. „Ich aber nicht!“ wollte ich gerade brüllen, als seine Frau in Tränen ausbrach. Sie hatte sich wohl aufs Geldausgeben gefreut.