Samstag, 18. September 2010

Abschied


Als ich in der vergangenen Nacht um 4 Uhr in mein Zimmer stolperte, müde, abgekämpft, betrunken, fröhlich und traurig zugleich, hielt ich nach wenigen Schritten mitten im Raum an und dachte: Jetzt ist es also vorbei.

Ein merkwürdiges Gefühl ist das, eins, dass sich eigentlich nicht wirklich beschreiben lässt. Ich habe den Abschied nicht nur kommen sehen, ich habe ihn gewollt, mir eigentlich schon herbeigesehnt, bevor ich überhaupt angefangen habe mit diesem Job. Aber da war es nur eine diffuse Idee, die irgendwie vernünftig klang. TA für immer - was soll das?

Dann wurde der Wunsch, dass es endlichendlichendlich vorbei ist, immer drängender, dringender, weil mich so vieles dort langsam und doch unaufhaltsam kaputter gemacht hat. Die Entscheidung stand also schon allein deshalb fest und war nicht nur ein fernes Ziel. Also hab ich alles vorbereitet, habe sogar eine neue Aufgabe, eine neue Stadt, eine Herausforderung - und trotz all dem weine ich seit gestern Abend häufiger, als ich nicht weine.

Denn Abschied ist ebenso merkwürdig wie dieses Gefühl, dass er auslöst: Er wird schlimmer, je schöner er wird. Das liegt nicht nur an dieser fantastischen Party, die unsere Kollegen für Malte und mich organisiert haben - obwohl sie schöner nicht hätte sein können. Es liegt vor allem daran, dass für all diese Kollegen ganz selbstverständlich war, das zu tun - (mit) uns zu feiern, uns zu beschenken, mit uns traurig und zugleich fröhlich zu sein und uns zu vermissen, während wir noch da sind. Bei allen Flüchen und wüsten Beschimpfungen des letzten Jahres, aller Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung: Diese Kollegen meine Kollegen nennen zu dürfen war es wert, den ganzen anderen Dreck über sich ergehen zu lassen. DANKE!

Warum bin ich also weiter traurig, warum ist dieser Abschied so scheiß-schwer? Weil es so viele Menschen hier gibt, die ich nicht missen möchte und doch muss. Warum bin ich dabei trotzdem ganz entsetzlich glücklich, während mir Tränen die Wangen hinunter laufen? Weil es wunderschön ist zu wissen, dass es möglich ist, mit Menschen, mit denen man doch eigentlich "nur" arbeitet, eine solche Bindung aufzubauen. Eine, die auch vollbesoffene Liebesschwüre, peinliche Tanzeinlagen, wirre Monologe und plötzlichen Aufmerksamkeitsschwund aufgrund emotionaler Überforderung verzeiht.

Danke für diesen schönen, schweren Abschied, Freunde!

Mittwoch, 18. August 2010

Vorzimmer-Drachen

Wahrscheinlich kann ich bei diesem Thema erst mitreden, wenn ich selbst 20 Jahre in einem Job verbracht habe, den ich hasse, mit Menschen, die mich nerven und einem Gehalt, dass nicht annähernd als Schmerzensgeld funktioniert. Trotzdem, aus der Opferperspektive kann ich es ja jetzt schon mal probieren - als Opfer des vermutlich bis zur absoluten Frustration frustrierten Drachens, den sich mein Arzt in seinem Vorzimmer hält.

Diese merkwürdige Verbindung ist, nebenbei bemerkt, die einzige erkennbare Schwäche meines Arztes, und vermutlich kommt sie nur zustande, weil er ja arbeitet, während sie pampig zischend die Arbeit verweigert - und weil sich kaum jemand traut, ihm von den Zuständen in seiner Praxis zu erzählen. Ich übrigens auch nicht. Der Mann ist so nett. Das würde er sicher nicht durchstehen.

Ist aber auch verdammt schwer, das Durchstehen. Oder Durchsitzen, je nachdem, wieviel Glück man hat. Glück ist in diesem Fall schon, wenn man überhaupt während der Sprechstunde rein darf und nicht vor verschlossener Türe steht. Denn der Drachen schließt gerne mal ab, wenn er genug hat. Auch schon um 10 Uhr. Wer rein darf, stößt die Tür zwangsläufig gegen den letzten in einer etwa fünf Meter langen Schlange, die sich vor dem Pult am Eingang windet. Hinter dem Pult: 1,65 Meter Mensch, so in sich zusammengesackt, dass die blaßweiße Haut unter den Sommersproßen noch mehr Falten wirft, als es für die gefühlten 50 Jahre dauer-angepissten Daseins auf dieser Erde zu erwarten wäre. Randlose Brille vor trübgrauen Augen, aus denen Blitze schießen, wann immer jemand außer dem Drachen höchstpersönlich etwas sagt. Das klingt dann tatsächlich, als würde man den Grill löschen mit fünf Litern Wasser, Thüringer Waldquell, um genau zu sein. In diesen Fällen spontaner Eruption schwingt dann auch das fusselige blonde Haar erbost mit in Richtung des unverschämten Patienten, um anschließend schön kopfnah wieder unmotiviert abzuhängen.

Merkt man eigentlich, dass ich diese Frau optisch schon zum Reinschlagen finde? Ne, oder?

Aber sie verdient sich meine Aggressionen auch auf jedem anderen Weg, und immerhin das tut sie fleißig. Bei meinem ersten Besuch ließ sich mich eine Stunde im Wartezimmer hocken, um mir dann zu sagen: "Wir nehmen keine neuen Patienten auf, schönen Tag noch!" Nur eine herannahende Ohnmacht hielt mich davon ab, ihr mit der Chipkarte, die sie mir über den Tresen zurück schob, ein schönes "Z" zwischen die Sommersprossen zu ritzen und das im Anschluss als Malen nach Zahlen im Fieberwahn zu erklären. Da der Blutdruck messbar nicht stimmte, wie eine nicht ganz so arbeitsscheue Kollegin des Drachen feststellte, wurde ich behandelt - und werde seitdem vom Drachen misshandelt, wann immer sich die Gelegenheit dazu bietet. Schließlich habe ich mich als zusätzliche Arbeit frech eingeschleust, und nichts hasst der Drachen mehr als: Arbeit. Außer eben: zusätzliche Arbeit.

Dass sie mich, wann immer ich anrufe, schon direkt nach dem "Hallo" anschnauzt ("Können Sie endlich mal was sagen?" - "Entschuldigung, Sie haben vor drei Sekunden erst abgenommen und vor einer halben mit dem Reden aufgehört. Wusste nicht, dass ich schon dran bin." - "Ich lege gleich auf!"), kann kaum mit mir zu tun haben. Das ist vermutlich die Deluxe-Behandlung, die sie allen Patienten zukommen lässt. Manche von ihnen versuchen ja deshalb auch, sich mit Blumen und Pralinen einzuschleimen, die sie immer wieder wortlos entgegennimmt und mit eingefrorenem Gesicht auf einen Haufen (kein Scherz!) links von sich wirft. Um das gleich mal aufzuklären: Einen erkennbaren Vorteil dieser Bestechungsversuche habe ich noch nie erlebt.

Okay, vielleicht müssen die Schenker nicht vier Stunden warten, bis sie zwei Minuten ins Sprechzimmer dürfen. Und wenn, dann liegt das vielleicht wenigstens nicht daran, dass der Drachen die Chipkarte zwei Stunden lang "vor lauter Arbeit übersehen" hat. Das hat sie zumindest heute behauptet. Da ich mich erstens schon drauf eingestellt hatte und zweitens auf meinem angestammten Spion-Platz im Wartezimmer saß kann ich jetzt auch besser einschätzen, was der Drachen für eben diese Arbeit hält, dank der sie glatt ihre eigentliche Arbeit übersieht: Kuchen fressen. Leute anpampen. Dreimal die Tür zu- und auf Wink einer Kollegin reumütig wieder aufschließen. Für eine Stunde verschwunden sein. Einmal rufen "Labor ist DAAAAAHAAA!", um die Laborergebnisse dann erstmal runterzuwerfen und von einer Kollegin neu sortieren zu lassen. Und - ihre absolute Lieblingsbeschäftigung am heutigen Vormittag - in der Weltgeschichte rumtelefonieren und zuckersüß flöten: "Wir sind nämlich morgen nicht daaaaaaaaaaahaaaaaaaaaaa, die Praxis ist geschlossen."

Okay, ich habs mir überlegt: Wenn 20 Jahre lang nur das Verkünden meines süßen Nichtstuns und das Beschimpfen von Leuten, die mich beschenken, mein Auskommen gesichert haben, bin ich garantiert nicht so frustriert wie dieses dampfabsondernde Wesen. Und die Bezahlung kann sogar sein, wie sie will!

Freitag, 13. August 2010

"Hüüüüüüüüüüh!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!"

Wenn ich meiner Mutter etwas erzähle, das ihr überhaupt nicht in den Kram passt, klingt sie so. Nach letztem Atemzug vor dem ewigen Schlaf, nach einem zum Bersten gefüllten Luftballon, aus dem voll geladen die Luft entweicht. Das entsetzte Gesicht zum Geräusch hat sich ebenfalls in mein Gedächtnis gebrannt - als ich mit sieben heimlich auf den Zehnmeterturm geklettert bin und von oben gewunken habe. Da hat sie sicher genauso geklungen, nur hab ich es nicht gehört. Ich bin runtergehüpft, zum Beckenrand geschwommen, rausgeklettert - und bekam eine geknallt.

Das wäre glaube ich auch heute noch ihre Reaktion zum Geräusch, wenn es nicht so ganz besonders unpassend wäre, seine erwachsenen Kinder für Lebensentscheidungen zu vertrimmen. Also "hüüüüüüüüh!"t sie mich eben an, wann immer ihr der Sinn danach steht. Gerade eben zum Beispiel. Zwei Tage nach einem Vorstellungespräch für einen Job, keinen besonders tollen, keinen besonders schlechten, einen im wahrsten Sinne des Wortes einwandfreien Job, sage ich ihr: "Wollte euch nur wissen lassen, dass ich das nicht mache. Dafür schiebe ich meine Weltreise nicht auf. Ich habe abgesagt, denn ich will mich nicht in ein paar Jahren fragen, was ich eigentlich mit meinem Leben hätte anstellen wollen - das muss jetzt passieren." Ihre Reaktion? "Hüüüüüüüüüüh!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! (laaange Pause) Na, musst du ja wissen."

In einem großartigen Roman habe ich gelesen, dass das eigene Leben auf fünf Säulen steht: Familie, Liebe, Wohnung, Arbeit, Freunde. Und wenn sich meine Familie nicht irgendwann mal davon verabschiedet, mein Leben ganz diktieren zu wollen, dann bleiben wirklich "nur noch" Freunde. Und da sag noch einer, es wäre nicht an der Zeit zu verreisen. Hüüüüüüüh!

Mittwoch, 28. Juli 2010

ungenutzte Urlaubstage

Mein Leben ist nicht kaputt - sondern der Rahmen, der es hält. Ich bin nicht irre! Diese wundervolle Erkenntnis hat sich in meinem Kopf eingenistet und verlangt, niedergeschrieben zu werden. Und zwar ungeachtet der Tatsache, dass ich sie mit Anti-Mitesser-Streifen im ganzen Gesicht und zu den Klängen der Münchner Freiheit aufschreibe - sie ist tatsächlich trotzdem wahr!

Was der Plunder in meinem Gesicht und die Nasenaffen in meinen Ohren wollen? Es ist eben Urlaub, und ich habe einen ganzen Tag hinter mich zu bringen, der eigentlich mit nix gefüllt ist. Für gewöhnlich hasse ich das: müde vom gestrigen Tag, an dem ich um 14 Uhr in Stockholm in einen Zug gestiegen bin, um exakt um 24 Uhr in Erfurt aus einem zu klettern. Und es zwischendrin nicht mal geschafft habe, den Schriftzug "Royal Viking Hotel" zu fotografieren, weil ich schon zu schläfrig und faul war.

Morgen geht's dann auf nach Ibiza, wieder ein Tag in Autos, Zügen, Flugzeugen, Bussen... zwischendrin nur Zeit, um Wäsche zu waschen, die eh nicht mehr trocken wird, und den Seesack neu zu befüllen. Klingt nach Stress? Moment, da reibe ich mich mal kurz Wickie-mäßig an der bepflasterten Nase und sage: Nichts klingt weniger nach Stress als das!

Stress ist der ganze traurige Rest. Diese Erkenntnis verdanke ich einem einfach perfekten Kurztripp zur Märy nach Stockholm (DANKE DAFÜR!!). Mein kleiner, verspäteter Schwedenaufenthalt war traumhaft - aber glücklich wäre ich auch gewesen, hätte man mich doch das ganze Wochenende kurz vor Berlin im Zug hocken lassen wie ich auf der Hinfahrt befürchtete, als mal locker 50 Minuten lang gar nix ging und die Bahn es nicht für nötig befand, irgendjemandem einen Grund dafür zu nennen. Glücklich wäre ich natürlich auch an jedem Strand, auf jedem Berg, in jedem Wald und vielleicht sogar unter einigen Brücken dieser Welt gewesen - Hauptsache, sie haben nichts, aber auch nicht das geringste mit meiner Arbeit zu tun.

Fünf Tage haben gereicht, um mich wieder klarer sehen zu lassen und meinen Blick auf all das zu schärfen, was mich sonst einfach nur traurig macht und auslaugt: Ich liebe meinen Beruf - aber ich hasse meinen Job hier. Ich liebe meine Kollegenfreunde - aber ich hasse, wie wir gemeinsam in unserem Leid aufgehen statt über den Tellerrand zu blicken und uns an dem zu freuen, was sein wird, wenn wir das hier hinter uns lassen. Ich bin nicht irre - die Umstände geben mir nur manchmal das Gefühl. Aber nur ich kann die Umstände ändern. Und das werde ich, so schnell und so oft ich kann!

Bekloppte Urlauber-Philosophie? Mag sein. Aber ich hab mich schon lange nicht mehr so frei gefühlt wie jetzt, unter klebrigen Pickelpflastern und neben einer schlecht gepackten Tasche. Und das alleine ist es wert, hinausposaunt zu werden - selbst, wenn es keiner hört, für mich bleiben diese Zeilen immer ein Echo, das ich sicher schon bald brauchen werde. Bald, wenn ich eine neue Tasche, eine praktischere kaufen werde, um sie schlecht zu packen und hier rumzusitzen während ich darauf warte, zu gehen. Zu gehen, um meinen Rahmen gerade zu rücken. Da muss man echt auch mal pedantisch sein!

So gesehen ist also dieser Urlaubstag gar nicht ungenutzt - vielen Dank dafür an einen mir völlig unbekannten amerikanischen Touristen in Erfurt, der mich gezwungen hat, etwas zu tun, damit sich mein Wohlgefühl nicht gleich wieder verflüchtigt, und der mich so das Wohlgefühl nur noch klarer hat erkennen lassen. Klingt nach Zauberei, ist aber eigentlich nur, im wahrsten Sinne des Wortes, Blabla. Während ich an der Kasse im Supermarkt stand und er zu seiner Freundin sagte "I want you to buy some Stretch-Jeans like these" - und mit dem Kopf pseudo-heimlich in meine Richtung nickte - bescherte er mir die Eva-typische Gesicht-zur-Faust-geballt-Grimasse mit dem Zusatz "And i want you to wear them out like she does".

Jemand findet meine Jeans, die am Arsch aufgeplatzt ist und die keinen Platz für die fünf Kilo Kummerspeck zusätzlich hat abgenutzt? Das "Buhuhuhu"-Gefühl der letzten Monate war, lächerlich!, schon bis zu meinen Füßen geschlichen, um von dort aus hochzukrabbeln und sich spätestens im strömenden Regen auf dem Weg zum Auto oder heute Abend beim Grillen mit Kollegen wieder in mein Herz zu setzen und da die Wände schwarz zu streichen.

Aber ehrlich: Das einzige, was hier wirklich worn out ist, ist dieses Gefühl. Deshalb gilt ab heute: "I don't give half a fuck", um einen wunderschönen Satz aus dem Mund eines wunderschönen Schweden zu zitieren. Nicht zu der Frage, wie die Welt meine Hose findet - und ab sofort auch nicht mehr dazu, wie die Welt mein Leben findet. Ist schließlich meins. Nur meins! Und wenn das manchmal selbst mir nicht passt, ist das in erster Linie mein Problem - und Probleme kann man, ganz im Gegensatz zu permanenten Stimmungstiefs, lösen.

Sonntag, 4. Juli 2010

Zewa Softis auf dem Klo

Da lebt man mit drei Menschen zusammen, und trotzdem kauft nur einer Klopapier: ich! Oder eben auch nicht, wenn ich sogar das Bloggen für sechs Wochen vergesse (sorry!).

Wozu mein Unvermögen dann führt? Natürlich nicht zu spontanen Vier-Lagen-Lustkäufen bei meinen werten Mitbewohnern, sondern zu männlichem Abschütteln des Problems samt letztem Tropfen. Weshalb ich nach einem laaaangen Arbeitstag so gegen 22 Uhr erst komplett ohne alles auf dem Klo sitze und brülle ("SCHEISSE!!!"), um dann doch wieder einmal die Zewa Softis auf den Spülkasten zu legen.

Ich hasse das. Diese Geste ist das ultimative Eingeständnis des Scheiterns. Ja, mein Leben ist zu voll zum Einkaufen von Hygieneprodukten. Ja, ich wische mit teurem Geld ab. Ja, ich bin zu vergesslich um mir das bis zum nächsten Tag zu merken.

Irgendwann bin ich offenbar zum Zewa-Softi mutiert und schlaffe ab, wo mein Leben von mir ein wenig Biss verlangt. Kofferraum kaputt? Oooch, Einkäufe und Koffer kann man doch auch monatelang auf der Rückbank spazieren fahren (rächt sich erst, wenn man sein eigenes Fahrrad einladen muss und das nicht durch die Tür passt). Zahnschmerzen seit Wochen? Lieber Ausschlafen als zum Arzt gehen (rächt sich mit der Röntgenaufnahme des eigenen Gebisses, Hometown of Carius & Baktus, die einen vielleicht nie wieder ruhig schlafen lassen wird.) Bewerbungen? Joooa, ich schreib mir ne Handynotiz. Was vernünftiges Essen? Hab doch die Nummer vom Pizzaservice. Wenigstens Urlaub planen? Is' so heiß gerade...

Das war alles auszuhalten. Aber jetzt verhöhnen mich die Zewa Softis bei jedem Toilettenbesuch, und ich habe eine sehr schwache Blase. "Du bist faul" klugscheißt es hinter mir vom Wasserkasten. Wäre heute nicht Sonntag, ich würde sofort die nächste Drogerie stürmen.

Vielleicht. Is' ja, wie gesagt, so heiß... ;)

Montag, 24. Mai 2010

spontane Entscheidungen

Was will ich studieren? Wo leben? Wohin abends ausgehen? Welche Pflanze aus dem Baumarkt "retten"?

Meine Entscheidungen sind für gewöhnlich gut überdachte, völlig über-dachte Urteile, die vor allem auf dem basieren, was man Verstand nennen könnte - wäre das nicht zufällig der gleiche Teil von mir, der in berauschten Zuständen gerne Panikattacken bekommt. Und zwar á la "Oh Gott, die werden demnächst die Mauer wieder aufbauen und dann steh' ich auf der falschen Seite" (gestern) bis zu "Der Golfstrom ist stehengeblieben, hoffentlich hat einer meiner Nachbarn Tennisschläger im Keller als Schneeschuhe" (während der Eiseskältewelle vor eineinhalb Jahren).

Informationen sind für gewöhnlich die Impulse, die mich von einer Entscheidung zur nächsten treiben und vorher das Denken, Grübeln, Paniken anwerfen. Für gewöhnlich.

Allerdings geschieht seit Kurzem eben Ungewöhnliches. Bauchentscheidungen. Gefühlsausbrüche. Kopfloses Glücklichsein und verkopftes Unglücklichsein im Wechsel. Und mittendrin höre ich mich plötzlich in einem Gespräch etwas sagen, dass ich bisher nicht einmal gedacht habe. In einem Gespräch, das sich ausschließlich um meine ach so wichtige und - nach zumindest bisher geäußertem Wunsch, vor allem auch meiner Eltern - hoffentlich ach so erfolgreiche Zukunft drehen soll. In diesem Gespräch sage ich: "Nein, ich will nicht sofort anfangen. Ich will um die Welt reisen."

Will ich das? Weiß mein Verstand davon? Hat mein Gehirn davon gehört? Ist die Welt nicht dieser überbevölkerte Schuppen, in dem ich praktisch kein Schwein kenne? Kann einem da nicht alles geklaut werden, während man in einem Busch gezogen und gegessen wird, bei voller Verstopfung und mit Malaria infiziert? Was macht mein Leben ohne mich, während ich Urlaub davon mache? Wie wird es mich empfangen, wenn ich zurückkomme? Werde ich nicht bei einwöchigen Pauschalreisen schon nach drei Tagen mental gewalttätig und spreche sicherheitshalber mit niemandem mehr, bis ich endlich wieder einen Strammen Max auf Schwarzbrot hatte, obwohl ich Schwarzbrot sonst zum Kotzen finde? Ist das hier eine Flucht? Wenn es eine ist: Ist sie nicht der letztendgültige Beweis meines ständigen Scheiterns?

Mein sogenannter Verstand ist also seit diesem Gespräch, das Wochen zurückliegt, in Hochform. Nur kommt er, und keiner - zuletzt er - weiß, warum, nicht gegen meinen Bauch an. Den kann ich mir behaglich reiben, während ich mir vorstelle, wohin ich will. Warm wird es mir dabei. Der Verstand plärrt zwar weiter wie eine eifersüchtige Ehefrau, aber mein warmer Bauch schweigt, ganz ruhig. Auch, wenn mich plötzlich Adrenalin bei der tatsächlichen Planung fragt: "Bist du bescheuert?" Mein Bauch findet: "So ist es, das Leben." Das sagt er mir nicht. Das weiß ich. Ohne drüber nachzudenken.

Es wird Zeit, dass sich der Rest von mir auf meinen Bauch eingrooved. Findet wohl auch STA-Travel und hat meinem Verstand das hier eingeschänkt (oder eingeschenkt?): den Long Iceland Ice Tea. Der versetzt meinen Kopf in Rausch-Rationalität. Und die ist eh nie ernstzunehmen. Findet mein Bauch.

Sonntag, 16. Mai 2010

Again what learned (2)

Ein aktives Wochenende ganz ohne meine sonstige Lieblingsbeschäftigung - faul rumliegen und zur körperlichen Ertüchtigung maximal kauen - kann einem die Augen öffnen:

1. Aktivität ist Bewegung ist Aua. Mein rechter Arm ist noch schlaffer als mein Körper im Durchschnitt - er lässt sich und uns gerne Mal hängen. Schmerzhaft wegknickende Arme sind zwar etwa beim Transport der überreichlichen Supermarkt-Beute lästig, aber zugleich Ausblick in eine schönere Zukunft: Sehnenscheidenentzündung? Arbeitsverbot? Aktivität ist Bewegung ist Aua ist schön!

2. Masochismus kann noch ganz andere Blüten tragen. Zum Beispiel kann man ja ganz vorwitzig gemeinsam mit jener Stiefelfrau zu Mittag essen, die ihr geliebter Freund einfach mal alleine in die Küche gejagt hat. Um dabei die Erkenntnis zu gewinnen: Situationen, vor denen man sich lange fürchtet, sind weit weniger schlimm, als es die Furcht davor war. Kommt dann auch noch eine aberwitzige Abwandlung des Hund-Herrchen-Prinzips - beide sehen sich, je mehr Zeit sie miteinander verbringen, zunehmend ähnlich - ins Spiel, kann es zu spontanem Grinsen und unkontrolliertem Hochgefühl kommen. Großwetterlage Frohsinn, stellenweise spitzt ein wenig "Mann, bin ich eine geile Sau - und so nett!" durch die Wolkenschicht.

3. Vergiss vor lauter Hochgefühl und -mut niemals, nieeemals die Kinder deiner Mitmenschen! Ob man noch schneller im Ansehen eines Mitbewohners sinken kann als mit einer hübsch formulierten Zimmer-Anzeige im Internet, die leider den WG-Dreijährigen ausspart, ist noch unerforscht. Nachdenklich sollte stimmen, wenn sich so ein Dreijähriger gar nicht mal so unkompliziert nachträglich in den Anzeigentext einbauen lässt: Wir (außer Valentin) sind berufstätig und jederzeit (natürlich auch außer Valentin) für ein Bier zu haben?

Bleiben nach einem erfüllten Wochenende folgende Fragen offen: Wie beruhigt man einen gekränkten Vater, der nie zugeben würde, gekränkt zu sein? Was spritzt man sich in welche Hautfalte, damit nach drei Stunden "Avatar" der Abdruck einer 3D-Brille für immer verschwindet? Wie öffnet man so eine Brillenverpackung überhaupt, ohne von der neuen Geißel des Kinobesuchs heimgesucht zu werden? (Auf das traditionelle "Hilfe, ich sitze hinter dem größten Mann im Kino, und er hat sich die Drahtwolle auf seinem Kopf toupiert!" folgt in der neuen Zeitrechnung "Scheiße, auf meiner 3D-Brille ist ein Fingerabdruck, ein ganz großer. Mist, und wenn ich ihn mit dem Ärmel abwi... toll, jetzt ist er noch größer. Und verschmiert. Ganz toll.") Und: Wie stoppt man die unweigerliche eigene Arroganter-Werdung, wenn einem das Leben gar keine andere Wahl mehr lässt als sich aus Notwehr selber großartig zu finden?