Dienstag, 9. Februar 2010

die Stiefelfrau

Im unserem Flur stehen Stiefel. Frauenstiefel. Warum das ein Problem ist? Warum ich möglicherweise in Kürze von der Polizei aufgegriffen werde, strampelnd, fluchend und "Das ist die Stiefelfrau" brüllend? Ein "Lustspiel" in fünf Akten erklärt's (und wer mein jammervolles Gesülze der letzten Wochen kennt, sollte einfach beim 5. Akt einsteigen, den Nerven zuliebe):

1. Akt

Innerhalb von wenigen Tagen ziehe ich zurück nach Erfurt und fange einen neuen Job an. Keine Zeit für Wohnungssuche - also lande ich in meiner alten WG. Im Gästezimmer, denn in meinem alten Zimmer wohnt mittlerweile: Er. Viel zu jung, ganz anders als ich, völlig fremd... aber als er mir die Tür öffnet röhrt durch meinen Kopf nur ein: "Harrrrrr." Fünf Tage, in denen wir so viel wie möglich zusammenhängen und uns fantastisch verstehen reichen, um die Basis für ein schönes Desaster zu legen. Denn: "Der Mann hat eine Freundin." Hierbei handelt es sich um einen O-Ton. Ich sagte ja nicht, er sei eloquent.


2. Akt

Nach einer Woche erlebe ich den romantischsten Tag meines bisherigen Lebens. Inklusive erstem Kuss und "Ich bin verliebt in dich" - und das sagt er! HERRLICH! Und: Scheiße, hat ja ne Freundin, der Mann. Dass ich ab da aus erster Hand weiß, dass er seine Freundin zu betrügen pflegt, verstärkt meine ohnehin vorhandenen Zweifel, ob ich das Ganze eigentlich will. Wollen kann. Wollen sollte. Seine Entscheidung, direkt am nächsten Tag alles bleiben zu lassen und unter "schauen wir mal, wie es weitergeht" zu verbuchen, tut ein übrigens. Nach einer Woche friedlicher Koexistenz verschwindet er für zwei Monate. In denen ich übermütig beschließe: Na, mir gehts doch bestens. Da kann ich doch auch einfach ganz hier einziehen. So richtig. (Anmerkung mit historischem Abstand: Suuuuper Idee!!)

3. Akt

Nach aristotelischem Verständnis ja wohl irgendwie der Höhepunkt. Ich sag's gleich: NICHT! Auf schwierige Wochen nach seiner Rückkehr und dem völlig unvermittelt hingerotzten Satz "Ich bin nicht mehr mit meiner Freundin zusammen" folgt das Hochplateau der fühlbaren Anspannung zwischen uns. Man hätte es für sexuelle Anspannung halten können, aber vielleicht war's nur Elektrosmog in der Wohnung. Nach einer Party führt eines zum anderen, all das zu Ärger - denn niemand ist bei Überforderung so uncharmant wie dieses Exemplar - und eine nur undeutlich amüsantere Wiederholung macht's auch nicht besser. In meinem Kopf ist das "Harrrrr" vom Anfang längst abgelöst. Und zwar von einem riesigen, pulsierenden Fragezeichen in stetigem Wechsel mit einem "Nä, NÄ, willichnichhabenoderdoch, nä, NÄ"-Monolog der Spitzenklasse.

4. Akt

Nichts ist klar, nichts ist besprochen, ein beidseitiges "Nä, keine Beziehung, bitte. Gerade nicht. Danke" steht im Raum und wird von gelegentlichen anzüglichen Kommentaren der übrigen Insassen dieser WG beschossen. Ich lerne eine interessante Lektion: Wenn man will, kann man sich wirklich über alles streiten: Wieviel Prozent Steigung hat ein rechter Winkel? Wie baut man einen Ikea-Schrank RICHTIG auf, wenn es zwei alternative Lösungswege laut Anleitung gibt? Es wird also um die Wette klug geschissen. Die Stimmung ist - überraschend, aber wahr! - am Boden. Das Fragezeichen in meinem Kopf hört trotzdem nicht auf, zu pulsieren. Was, wenn das anders gelaufen wäre? Hätte es was werden können, wenn wir nicht so rieeesigen Ballast angehäuft hätten? Oder hat es nicht funktioniert, weil wir einfach nicht funktionieren?

5. Akt

Im Flur stehen Stiefel. Frauenstiefel. Morgens um halb neun. Zwischen seinen Schuhen. Mir wird sofort schlecht. Statt ins Bad zu stürzen und zu kotzen atme ich tief durch, gehe aus der Wohnungstür und fange im Auto an zu heulen. Saublöde Angewohnheit auch, morgens an seinen Schuhen abzulesen, ob er daheim gepennt hat oder nicht. Und dann sowas! Und die Stiefel waren auch noch schöööön! Natürlich war mir klar, dass irgendwann einer von uns jemand anderen anschleppt. Allerdings hatte ich - haha, man wird ja wohl noch träumen dürfen! - gehofft, dass ich das bin. (DANKE, "Horst", für's Nicht-Helfen an dieser Stelle!)
Eigentlich ist das auch völlig okay. Eigentlich geht mich das auch gar nix an. Eigentlich ist mir das natürlich auch total scheißegal. Uneigentlich laufe ich jetzt allerdings durch die Gegend und spiele eine merkwürdige Rolle in einer modernen Aschenputtel-Version: Jeder Frau schaue ich auf ihre Füße. Überall, ständig, immer suche ich panisch die Stiefelfrau. Wer ist sie? Kenn ich sie? Was genau ist sie? Ficke? Freundin? Wieso interessiert mich das überhaupt? Wo hat sie die Stiefel her? War sie das gerade? Und, am wichtigsten eigentlich, wenn ich das unwürdige Spiel schon nicht lassen kann: Was mache ich, wenn ich die Frau zum Stiefel gefunden habe? Falle ich sie an? Frage ich sie "War es für dich auch so scheiße?" Oder werde ich lachen, weil sie tatsächlich die 20-jährige Zweitsemester-Frucht ist, die ich mir in die Stiefel fantasiert habe? Die irgendwas sozialpädagogisches studiert, weil sie "helfen will". In größeren Runden lieber nicht redet, um nichts Dummes zu sagen. Sich verschämt das blonde aalglatte Haar aus dem Gesicht streicht. Sich nach einem halben Glas Weißwein auch gerne mal den Magen auspumpen lässt. Am liebsten Eskimoküsse austauscht. Oder, totaler Worst-Case: Werde ich sie und ihre Stiefel öfter sehen? Vielleicht schon morgen früh? Und werde ich sie am Ende sogar noch mögen?

Werde ich endlich mal aufhören, von Männern, die ich eigentlich gar nicht will oder auch doch weiß nicht frag mich nochmal später zu erwarten, dass sie sich für mich aufsparen, bis ich mich mit mir selbst geeinigt habe?

P.S.: Eigentlich hasse ich ja Menschen, die nach dem "Paul ist tot"-Prinzip funktionieren. Nicht wahr?