Dienstag, 26. Januar 2010

ein Leben ohne Mephisto






Heute ist mein Kater gestorben. Mein kleiner, dicker, wunderschöner, herzensguter, plüschiger Kater hatte keine Lust mehr darauf, alt zu sein. Vor vielleicht zwei Stunden ist er auf dem Arm meiner Mutter eingeschlafen. Seitdem kann ich nicht aufhören zu heulen. Und anstatt einfach nur weiterzuflennen und das Gefühl zu haben, ich müsste mich dafür lächerlich kindisch fühlen, versuche ich lieber zu erklären, wie es sich mein Tiger verdient hat, betrauert zu werden wie ein Zweibeiner.

Mephisto wollte ich ihn ja gar nicht nennen, als ich ihn mit 13 endlich haben durfte. Ich wollte ihn Monster nennen. Das passte, fand ich: ein drahtiger graugetigerter Kater mit entschlossen herausforderndem Blick aus grünen Augen. Als wir ihn und seine zarte Schwester aus dem Hasenstall eines fränkischen Bauerhofs "retteten" - so kam mir das zumindest damals vor -, kletterte er schnurstracks auf mich zu, ich nahm ihn in den Arm oder vielmehr in die Hand... und schon hatte er sich freigekämpft und marschierte über den Hof. Die Geschichte lehrt uns, dass ich ihn mir selbstverständlich wieder geschnappt habe. Und zwar immer und immer wieder.

Mein Kater war eigentlich ein Mensch. Und noch eigentlicher war er ein Macho. Wie wunderschön er war auf seinen perfekten strammen Beinen, mit seiner strahlend braunen Nase, dem breiten Schädel und der präzisen Tigerzeichnung war ihm eigentlich immer bewusst. Aber er mochte seine Fans. Er leistet ihnen Gesellschaft, sobald sie mit Besteck klapperten um Menschenfutter zu essen. In späteren Jahren hatte Mephisto dafür sogar einen angestammten Platz, an dem er saß und seinen Pflichtteil einforderte. Er drückte ihnen im Vorbeigehen, wenn sie bereit waren sich zu ihm zu beugen, gerne seine breite Nase ein wenig zu fest ins Gesicht. Und manchmal, bei besonders guter Laune, blieb er auch mal über Nacht. Aber natürlich nur, wenn er sich dahin legen durfte wo ER wollte - auf die Brust oder zwischen die Beine, sein Ziel war so oder so die völlige Bewegungsunfähigkeit seiner menschlichen Matratze. Er war ein Ego-Macho aus dem Lehrbuch, und trotzdem (gerade deshalb?) mein Held.

Es gibt so viele Erlebnisse mit diesem Kater, die ich nie vergessen werde. Und da zähle ich seine endlose Geduld mit den Tränen eines von Liebeskummer geplagten Teenagers gar nicht mit. Mephisto hatte Entertainerqualitäten. Wenn er einen Luftballon jagte oder seinen eigenen Schwanz. Wenn er einen vorwitzig unter einer Bettdecke hervorspitzelnden Fuß erlegen wollte und ihn mit weit aufgerissenen Augen und vorgeklappten Ohren attackierte - oft genug inklusive vorherigem Anschleichen, wobei er immer hochkonzentriert mit dem Arsch wackelte. Wenn er, vom Besteckgeklapper geweckt, am Esstisch saß, bevor auch nur irgendein Mensch sich dort blicken ließ. Wenn er gestreichelt werden wollte und einem zu diesem Zweck mit lang ausgestreckter Pfote das Buch aus der Hand zog. Wenn er mit dem Schäferhund der Nachbarn spielen wollte. Aber eigentlich einfach immer.

Werde ich einmal vergessen, dass mein dicker Kater entsetzliche Schweißpfoten hatte und auf glatten Oberflächen manchmal sogar Tappser hinterließ? Werde ich vergessen, wie seine verzweifelten Schreiversuche als Baby, auf der Fahrt vom Bauernhof nach Hause, klangen? Wird meine Mutter mir endlich glauben, dass er mir bei meinem ersten Heimatbesuch als Studentin mitten in der Nacht auf die Bettdecke gepisst hat und sofort schuldbewusst abdampfte?

Ich hätte so gern noch einmal gesehen, wie der Fakir-Kater eine winzige Kiste oder Tasche mit diesem Blick ansieht - "Na, da pass ich aber doch rein. Das wollen wir mal sehen!" - um sich dann systematisch reinzuquetschen. Zum Glück gibt es reichlich Bilder von Mephisto auf Küchenwaagen, in Weinschränken, im Wäschetrockner, in Reisetaschen, Nase zuerst in den Schuhen meines Bruders ("Zeitung lesen", wie mein Vater es nannte), im Chianti-Karton mitsamt seiner schockiert dreinblickenden Schwester. Ich hätte so gerne noch einmal miterlebt, wie er angerannt kommt, wenn man ihn ruft, bei jedem Schritt leicht quäkend vor Freude, und mir dann seine Nase ins Gesicht rammt. Und ich will ihn noch einmal Schnurren hören. Dieses Schnurren, dass nur er konnte, das die gefühlte Lautstärke eines Rasenmähers hatte und einfach nichts anderes sagte als: "Mann, gehts mir gut."

Ans Paradies zu glauben ist mir ja eigentlich zu blöd. Aber trotzdem hoffe ich, dass mein hedonistischer Schönling irgendwo ist, wo er schlafen kann solange er will, sich danach den Bauch vollschlägt mit dem, wonach ihm gerade ist - und dann mit Gelbwurst! - und wo er seine Schwester ignorieren kann. Denn scheinbar hat er die doch ein bisschen gemocht. Und uns auch.

Und jetzt noch einen völlig Over-The-Top: Danke, kleines herzensgutes Katerchen, für 15 Jahre in deinem Bann!

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